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Einleitung zum Stadtrundgang im Oktober 2011

Anlässlich des 10. Jahrestags des NATO-Kriegsbeginns in Afghanistan

Guten Tag,

das Datum des heutigen Stadtspaziergangs haben wir bewusst auf Anfang Oktober gelegt, um an den vor 10 Jahren begonnenen Krieg der NATO-Staaten gegen Afghanistan zu erinnern.

Anlässlich des 10. Jahrestages des Kriegsbeginns und der ersten Bombardierungen am 7.Oktober 2001 gingen in der afghanischen Hauptstadt Kabul mehrere hundert Menschen auf die Straße. Sie protestierten gegen die militärische Besetzung ihres Landes und für einen sofortigen Abzug der Truppen.
In den vergangenen Jahren hatte es immer wieder in Afghanistan Proteste gegen die Besatzungstruppen gegeben. Studien ergeben, dass die Ablehnung in der Bevölkerung gegenüber dem Kriegseinsatz zunimmt, da die Lebensbedingungen sich seit Kriegsbeginn 2001 verschlechtert hat und die Truppen von der Bevölkerung zunehmend als Bedrohung wahrgenommen werden.

Statt Demokratie und der Befreiung der Frauen hat der Krieg den Tod vieler Zivilisten gefordert und eine fortschreitende Brutalisierung der Gesellschaft bewirkt. Laut einem jüngsten Bericht der UNO kommt es monatlich durchschnittlich zu 2.108 Anschlägen, Gefechten und weiteren Gewalttaten. Die Zahl ziviler Opfer bei Bodenkämpfen sei um 84 Prozent gestiegen. Die UNO nennt allein für die letzten fünf Jahre 8.800 Ziviltote.

Die Frauenrechtlerin Malalai Joya aus Afghanistan äußerte in einem Interview mit dem Guardian: »Mein Land wurde nicht befreit, es wird immer noch von Warlords kontrolliert, und die NATO-Okkupation vergrößert nur deren Macht. Einige behaupten, wenn die ausländischen Truppen Afghanistan verließen, werde das Land in einen Bürgerkrieg stürzen. Ist das heute etwa kein Bürgerkrieg und Und sie sagte außerdem: »Die Taliban sind nicht das Problem, sondern ein Symptom der Krankheit namens Korruption, Gewalt und Feudalismus (und ausländische Regierungen und Firmen sorgen für die Belieferungen der Fundamentatlisten mit Geld und Waffen)« (...) »Den Frauen in Afghanistan werden nicht allein nach wie vor ihre Rechte verweigert, sondern der Kampf für diese Rechte wird darüber in grausamer Ironie dazu missbraucht, die brutale Besatzung meines Landes zu rechtfertigen und immer weiter fortzusetzen.«
(Malalai Joya ist eine Frau aus Afghanistan, die vor einigen Jahren für ihre Region in das erste »demokratische Parlament« nach dem Sturz der Taliban gesandt wurde. Da sie in ihrer Rede jedoch die Anwesenheit vieler Warlords kritisierte und deren Herrschen und Wüten in den 90ern als Kriegsverbrechen bezeichnete, wurde sie aus dem Parlament geschmissen)

Nach den Anschlägen am 11. September 2011 wurde zum ersten und bisher auch einzigen Mal der Bündnisfall vom NATO-Rat ausgerufen und am 7.Oktober 2001 begannen amerikanische und britische Truppen Afghanistan zu bombardieren.

In der deutschen Öffentlichkeit wurde die Teilnahme von Bundeswehrsoldaten an der Operation Enduring Freedom und an den ISAF-Truppen als Sicherheitsvorkehrung gegen den internationalen Terrorismus begründet und gleichzeitig als Maßnahme zur Förderung der Demokratie und Befreiung der Frau legitimiert. Die Soldaten wurden zu Aufbauhelfern und Brunnenbauer.

Als »militärisch angemessen« bezeichnete der Ex-Verteidigungsminister Guttenberg das von einem deutschen Oberst befehligte Bombardement in Afghanistan, durch das nach Recherchen von Journalisten 90 Zivilisten getötet wurden. Später korrigierte er in »militärisch nicht angemessen«. All das ist bekannt. Doch was heißt überhaupt militärisch angemessen?

Militärisch Intervenieren, Krieg, bedeutet gewaltsames Eingreifen in die Rechtsgüter Anderer/ sich mit Waffengewalt die Herrschaft anderer schwächen und zerstören...

Der Befehlshaber Oberst Klein hatte auf den vom amerikanischen B-1 Bomber und den F-15-Jets gelieferten Bildern schwarze Punkte gesehen. Und aufgrund der Meldung eines »Informanten« der als sichere Quelle galt, diese Punkte als Taliban identifiziert und daraufhin den Befehl für die Bombardierung gegeben — ohne auf die Forderungen der Piloten, weitere Prüfungen vorzunehmen, z.B. einen Trupp vor Ort zu schicken, um sich über die Lage vor Ort und mögliche Zivilisten zu informieren oder weitere Informanten aufzutreiben, um sich die Angaben des ersten Informanten bestätigen zu lassen. Darüber hinaus behauptete Oberst Klein sogar, Kenntnis darüber zu haben, dass ein Angriff auf das deutsche Lager geplant sei.

Insbesondere die Angabe eines möglichen Angriffs auf das deutsche Lager, also Teile der Internationalen Streitkräfte, veranlassten die Piloten, den Knopfdruck zu betätigen.

Durch die inszenierte Gedenkkultur und die Medienberichterstattung wird ein (nationales) WIR konstruiert und die Bevölkerung fühlt sich den Toten des eigenen Landes, des eigenen Kulturkreises verbunden. Durch die Hervorhebung der Persönlichen Daten werden die Getöteten der konstruierten Gemeinschaft vermenschlicht, dies ruft Affekte hervor und ruft eher Anteilnahme hervor, während die vielen toten Zivilisten namenlos und unbekannt bleiben. Die in Afghanistan gestorbenen Bundeswehrsoldaten werden alle auf der Seite der Bundeswehr namentlich und Bild erwähnt. Für diesen Zweck wurde auch vom Ex-Kriegsminister Jung ein Ehrenmal errichtet, auf dem die Namen aller in zukünftigen Einsätzen sterbenden Soldaten projiziert werden können. Propaganda, Manipulation und rassistische Diskurse bewirken, dass das Leiden und Leben der nicht zur Gemeinschaft definierten Menschen, als nicht so bedeutsam, als unwert erscheinen, die Entrechtungen als gerechtfertigt, das Auslöschen der Leben als legitim erscheint. So wird die Akzeptanz für Kriegseinsätze, die Anwendung militärischer Gewalt im 'eigenen' Interesse akzeptabel.

»Es geht um die Struktur der Rahmung ("framing") dessen, was ein Leben in Afghanistan, im Irak oder anderswo bedeutet, d.h. jeweils dort, wo der Westen Kriegsziele definiert und militärisch verfolgt, politisch durch Mandate abgesichert. Es geht also in der erweiterten Wahrnehmung um das Bild, das «den Text des Krieges einrahmt«. Bestimmte Leben, die gar nicht als Leben wahrgenommen werden, können im vollen Wortsinn niemals gelebt und auch niemals ausgelöscht werden. Die Rahmen oder Raster (frames), mittels welcher wir das Leben anderer als zerstört oder beschädigt (und überhaupt als des Verlustes oder der Beschädigung fähig) wahrnehmen oder eben nicht wahrnehmen, sind politisch mitbestimmt. Sie sind ihrerseits schon das Ergebnis zielgerichteter Verfahren der Macht." (J.Butler, Krieg und Affekt)