MENU    

Deserteure

Print  Deserteure

Typografie: Bild Auf der Tafel, die in der Unterführung des Bahnhofs Friedrichstraße hängt, steht: »Kurz vor Beendigung des verbrecherischen Hitlerkrieges wurden hier zwei junge deutsche Soldaten von entmenschten SS-Banditen erhängt.«

Der Hintergrund dieser Tafel ist Folgender: Im April 1945, also kurz vor Ende des Krieges, wurden hier zwei Wehrmachtssoldaten, zwei Deserteure, von der SS standrechtlich zum Tode verurteilt und am Fenstergitter des sich damals hier befindlichen Schuhgeschäftes erhängt. Darüber hinaus wurden ihnen Schilder mit diffamierendem Inhalt umgehängt. Der Sinn der öffentlichen Hinrichtung war die Abschreckung anderer Soldaten und auch der übrigen Bevölkerung.

Typografie: Bild Diese Tafel wurde erstmals 1952 angebracht. Anfang Oktober 1990 wurde die Tafel von Unbekannten entfernt. Am 20. Oktober desselben Jahres brachte der Verein Aktives Museum erneut eine Tafel an, die binnen kurzer Zeit erneut verschwand. Drei weitere Tafeln wurden hier befestigt und jeweils entfernt. Erst als die Deutsche Bahn diese unauffällige und kaum sichtbare Platte bei der Sanierung direkt in die Wand »versenkte« und eine Entfernung damit praktisch unmöglich machte, blieb die Tafel da, wo ihr sie nun seht. Die Beharrlichkeit, mit der diese Platte entfernt wurde, zeigt eindrücklich, welchen Hass Deserteure noch heute auf sich ziehen. Ein weiteres Beispiel dafür ist die Rede des Steglitzer Bezirksbürgermeisters Herbert Weber anläßlich des Volkstrauertages 2004. In seiner Rede zitierte Weber ausgerechnet den Altnazi und Ritterkreuzträger Erich Mende wie folgt: »Die meisten Deserteure hatten etwas auf dem Kerbholz und wussten, warum sie abhauten! � Es ist eine Verirrung, die nur mit Geisteskrankheit, Hetze oder maßloser Verhetzung zu erklären ist!«

Der ehemalige NS-Marinerichter und spätere baden-württembergische Ministerpräsident Dr. Hans Filbinger wirkte unter anderem am 16. Januar 1945 an dem Todesurteil gegen den Marine-Deserteur Walter Gröger mit. Filbinger fungierte als Vertreter der Anklage und als Leitender Offizier des Exekutionskommandos, welches das Todesurteil an dem Matrosen Walter Gröger im März 1945 vollstreckte. Der sich reuelos zeigende Filbinger mußte 1978 als baden-württembergischer Ministerpräsident aufgrund seiner aktiven Rolle in der NS-Militärjustiz zurücktreten. Zu seinem 90.ten Geburtstag ehrte die CDU ihr verstorbenes Mitglied. »Hans Filbinger war kein Nationalsozialist«, sagte Filbingers Nachfolger im Amt des Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg Günther Oettinger. Völlig uneinsichtig, nur aufgrund starken äußeren Drucks, lavierte Oettinger sich aus dieser Ungeheuerlichkeit heraus.

Bis heute sind die Deserteure gesellschaftlich nicht rehabilitiert, sondern gelten als »Vaterlandsverräter« und »Kameradenschweine«. Ihre »Kameraden« bei der Wehrmacht hingegen, die einen Vernichtungskrieg gegen Europas Juden, Sinti und Roma Partisanen und Behinderte führten, konnte jahrzehntelang die Legende von der »sauberen Wehrmacht« pflegen. Sie erhalten sie eine Rente, gelten als anständige Bürger und dürfen bei Veteranenfeiern, oftmals unterstützt von der Bundeswehr, ihrer Toten gedenken.

Es ist dem unermüdlichen Kampf von Ludwig Baumann, Vorsitzender der Bundesvereinigung der Opfer der NS-Militärjustiz und vielen anderen zu verdanken, dass es im Jahre 2002 nach jahrelangem Kampf doch noch zu einer Aufhebung der meisten NS-Wehrgerichtsbarkeitsurteile durch den Bundestag kam. Aber, der Tatbestand des Kriegsverrats ist davon noch immer ausgenommen und eine gesellschaftliche Anerkennung von Deserteuren als von NS-Unrecht Betroffenen und Widerstand leistenden ist ihnen versagt geblieben.

Heute kämpfen weltweit einige Initiativen darum, dass Kriegsdienstverweigerung und Desertion als Fluchtursachen anerkannt werden, so beispielsweise der Verein Connection e.V.